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Fast einhundert Jahre später waren es weniger die Durchreisenden, die der Region
Aufmerksamkeit schenkten, sondern vor dem Hintergrund des russischen Vordringens
nach Süden begann allmählich eine systematische Erforschung dortiger Verhältnisse, an der
deutschstämmige Militärs und Forscher in russischen Diensten aktiven Anteil nahmen.
So untersuchte von 1717 bis 1720 der Mediziner
Gottlieb Schober (1672-1739)
imAuftrag
von Zar Peter I. u.a. die heißen Quellen von Groznyj für Kurzwecke und bereiste auch die
nordwestlichen Gebiete des heutigen Aserbaidschan. Die Ergebnisse seiner Reise finden sich
in seinem dreibändigen Werk „
Memorabilia Russo-Asiatica
“.
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Im Jahre 1720 reiste der Botaniker
Johann Christian Buxbaum (1694-1730)
für vier Jahre
nach Kaukasien und sammelte Heilpflanzen. Sein fünfbändiges Werk mit den Forschungs-
ergebnissen erschien 1728 bis 1740. Sein Herbarium soll elf neue Genera sowie 225 neue
Spezies enthalten haben und bildete die Grundlage für das später so bekannte Herbarium der
1724
gegründeten Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg.
Aus dieser Zeit datiert eine weitere charakteristische Traditionslinie der Erforschung
Kaukasiens: Neben Wissenschaftlern waren Militärs und später auch Beamte in russischen
Diensten landeskundlich tätig.
So verdanken wir dem gebürtigen Brandenburger
Johann Gustav Gerber (auch Gärber,
1760)
5
,
der die Artillerie bei der Einnahme Bakus durch russische Truppen 1723 befehligte
und als Kommissar beim russisch-osmanischen Friedensschluss 1727 tätig war, nicht nur
eine ausführliche Beschreibung der Kaspischen Gebiete, die auf die rationale Ausbeutung der
besetzten Territorien eingeht, sondern auch eine frühe Karte der Regionmit der Beschreibung
der Handelswege und den dort siedelnden Völkerschaften. Die Veröffentlichung seiner
Erkenntnisse durch G.F. Müller 1740 in St. Petersburg war insofern bemerkenswert, als
trotz der Bestellung durch die russische Regierung‚ die Nachrichten Gerbers’ noch wenig
von jenem Großmachtdenken durchdrungen waren, welches seit dem 18. Jahrhundert mehr
und mehr russische Kaukasusstudien beeinflusste“ (Polievtkov 1935: 208).
Während die großen Forschungsreisen der russischen Akademie nach Sibirien und
Alaska unter Beteiligung deutschstämmiger Wissenschaftler bereits in die erste Hälfte des 18.
Jahrhunderts fielen, waren vor dem Hintergrund der militärischen Auseinandersetzungen
Russlands mit dem Osmanischen und Persischen Reich wissenschaftliche Untersuchungen
größeren Umfangs in Kaukasien erst ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts möglich.
Die bedeutendsten Forschungsreisen waren mit den Intentionen Katharinas II. (1729-1796)
verbunden.
So organisierte die St. Petersburger Akademie, deren Mitglieder mehrheitlich Deutsche
waren, zwischen 1768 und 1774 das größte Landreiseunternehmen der Zeit. Dem Ruf der
4.
Das Manuskript wird in der Handschriftensammlung Preußischer Kulturbesitz Berlin aufbewahrt.
5.(
auchGarber)JohannGustav,geb.inPeitz(Brandenburg),gest.1734inNovopavlovskamDon,hieltsich1722–29inderKaspischenRegion
auf. Die 1728 erstellte und 1736 gedruckte Karte der „Länder undVölkerschaften desWestufers der KaspischenMeeres“ war Grundlage der
Verhandlungen zwischen Russischem und Osmanischem Reich über die Abgrenzung der Einflussgebiete in der Region.